Regelmäßige Leser dieses Blogs kennen meine Kassandrarufe. Leider scheinen sich meine schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten, die ich vor gut einem Jahr in diesem Aufruf formuliert hatte.
Europa steht am Scheideweg. Die politische Austeritätsagenda der letzten 5 Jahre ist in Gänze gescheitert. Und mit ihrer aktuellen Entscheidung zur Begrenzung der ELA-Kredite hat die EZB den suizidalen Startschuss ihrer eigenen Existenz abgefeuert. Barry Eichengreen sieht dies wohl ähnlich.
Heiner Flassbeck erläutert in seiner heutigen Analyse die Ursachen dieses Desasters:
Dass in der Krise die Lüge zum alltäglichen Mittel der Politik wird, ist nicht überraschend. Aber die Art und Weise in der die deutschen Medien Arm in Arm mit der Politik den ideologischen Kampf, um den es hier im Kern geht, führen, stellt alles in den Schatten, was man sich hat vorstellen können.
Und Joseph Stiglitz äußert sich heute im Interview der Wochenzeitung DIE ZEIT eindeutig:
Es ist die unnachgiebige Haltung Deutschlands, die dazu beigetragen hat, dass aus einem überschaubaren Problem ein enormes wurde. Griechenland macht ja nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone aus. Erst die totale Fixierung auf die vermeintlichen moralischen Risiken einer wachstumsorientierten Politik hat die Krise zum unlösbaren Problem gemacht. Man hat pausenlos die Angst geschürt, dass Spanien Griechenland nachfolgen könnte, wenn man zu nachgiebig wäre. Ironischerweise könnte genau dieses Angstszenario nun wahr werden.
Ich befürchte mit Stiglitz, dass die griechische Tragödie nur der 1. Akt eines europäischen Gesamtdramas ist. Deutschland könnte führen, aber macht es nicht (wegen Schäuble & Co.) und will/darf nicht (wegen seiner Vergangenheit). Alle anderen wollen nicht und können nicht. Wo ist der Alexander der Große, der dem Wolfgang dem Unnachgiebigen die Stirn bietet?
Jetzt helfen nur noch zwei große Wunder. Das erste lautet ‚Schäxit‘. Das zweite lautet ‚Citoyage‚. Sollte Schäuble den Ausgang nicht selber finden, dann ist der €xit unausweichlich.
Weitere Lesehinweise:
- Fabian Lindner: „Wenn es ernst wird, muss man lügen„
- Joseph Stiglitz: Europas Anschlag auf die griechische Demokratie
- Barry Eichengreen: Tragische Fehleinschätzung
- Aditya Chakrabortty: Griechenland ist ein Nebenschauplatz. Die Eurozone ist gescheitert und Opfer sind auch die Deutschen
- Mark Dittli: Schiffbruch in Griechenland
- Constantin Seibt: Die gefährlichste Idee Europas
- Norbert Häring: Die Lügen des Jean-Claude Juncker (1)
- Wolfgang Edelmüller: Das politisch-ideologische Power Play der EU-Konservativen gegen die griechische Linksregierung
- Charles Wyplosz: Grexit: The staggering cost of central bank dependence
update15.07.2015: weitere kritische Stimmen:
- The New York Times: Germany’s Destructive Anger
- Daniel Stelter: „Unten links“ – die deutsche Euro-Politik ist krachend gescheitert
- Jeffrey Sachs: Erledigt in Athen und Brüssel
- Mark Schieritz: Dieser Deal wird scheitern
- Lord Adair Turner: Greece for Grownups
- Barry Eichengreen: Saving Greece, Saving Europe
- Mark Blyth: A Pain in the Athens
- Guntram Wolff: Olivier Blanchard fails to recognise two major IMF mistakes in Greece
- Ashoka Mody: Professor Blanchard Writes a Greek Tragedy
Und wer sich für die fundamentalen Fehler und Lösungen interessiert, den verweise ich wieder einmal auf Lord Adair Turner: Crisis, Debt Overhang and Deflation
Hallo Michael,
lt. Varoufakis führt er ja, der Schäuble (http://vineyardsaker.de/analyse/unsere-schlacht-griechenland-zu-retten-interview-mit-varoufakis/). Freilich spielt Schäuble „nur“ den bad cop.
Liebe Grüße Christoph
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Schöne Linkliste! Unter anderem den von Mark Blyth kannte ich noch nicht. Wegen der schönen Anspielung im Titel, und weil ich mitbekommen habe, dass er vor einiger Zeit seine Ansichten vor der SPD vertreten durfte, habe ich den Artikel gelesen. Dieser Artikel ist wirklich einsame Spitze! Da steckt sehr viel drin – clearly advocating the real view on this tragedy.
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