Kapitalismus in der Krise?

So lautet die provokative Überschrift eines Papiers von Carl Christian von Weizsäcker, dessen Kernthesen er gestern auf einer internationalen Veranstaltung der Universität Leipzig zum Thema Zero Interest Rate Policy and Economic Order vorgestellt hat. Nachdem William White mit seinem bemerkenswerten Vortrag Montagabend die Messlatte schon sehr hoch gelegt hatte, legte von Weizsäcker nach und räumte mit einer Vielzahl von gängigen Mythen auf, die insbesondere die deutsche, aber eben auch die internationale Debatte dominieren. Die Überschrift seines Vortrags lautete: Public Debt and Monetary Expansion as a Way out of Secular Stagnation. Damit befindet sich von Weizsäcker ganz auf der Linie von Larry Summers.

In seinem Vortrag ging es insbesondere um die theoretische Begründung für die These der säkularen Stagnation, in deren Folge der natürliche Zins negativ geworden sei sowie um die potenziellen Wege, die ein Scheitern des Kapitalismus verhindern. Besonders pikant ist der Fakt, dass sich von Weizsäcker hierbei der Argumentation der Österreichischen Schule bedient, deren zahlreiche Vertreter während des Vortrags immer wieder ungläubig den Kopf schüttelten (die Friedrich August von Hayek Stiftung war Sponsor dieser Veranstaltung und Belke, Mayer, Kooths und Schnabl sind Anhänger der Österreichischen Schule. Siehe hierzu auch meine Diskussion mit Gerald Braunberger).

In seinem deutschen Papier schreibt von Weizsäcker einleitend:

Die Finanz- und Eurokrise will nicht verschwinden. Man fragt sich: Befinden wir uns in einer Fundamentalkrise des Kapitalismus? Ist dessen Ende gekommen? Oder befinden wir uns in einer Krise des Kapitalismus-Verständnisses? Benötigen wir ein „neues Denken“ über das weiter gültige System? In der Tat beruht diese Krise in der realen Welt und im Denken über sie auf einem Phänomen, auf das die makroökonomische Steuerung bisher noch nicht eingerichtet war: dem strukturellen Überschuss des privaten Sparwillens über den privaten Investitionswillen, selbst unter Bedingungen der Prosperität und bei sehr niedrigen Zinsen.

Ja, wir befinden uns in einer Verständniskrise und ja, wir benötigen ein neues Denken. Dieses neue Denken ist aber keinesfalls revolutionär, sondern vielmehr evolutionär. Von Weizsäcker, der sich selber als neoklassischen Keynesianer einordnet, hat hierfür die Tore weit geöffnet und den Weg für ein versönliches Verständnis der rivalisierenden ökonomischen Schulen bereitet. Ich selber ordne mich als Monetärkeynesianer ein und stimme mit den Thesen von von Weizsäcker zu 100 % überein.

Wenn Larry Summers Einschätzung zu Helicopter-Money richtig ist (“Helicopter money” is basically a form of fiscal policy…), dann ist mein Konzept der Citoyage (QE4P) ein sehr ähnliches Instrument zur Zielerreichung, das allerdings noch einen weiteren Aspekt berücksichtig, der ebenfalls auf dieser Veranstaltung thematisiert wurde; und zwar in einem Vortrag von Ayako Saiki mit dem Titel Unconventional Monetary Policy and Income Inequality in Japan.

Jetzt müssen wir nur noch aus unseren Schützengräben heraus und dieses Wissens in die Welt tragen. Von Weizsäcker endet in seinem deutschen Papier mit den Worten:

Noch einmal: es gibt bezüglich der Staatsschulden mit der Demographie des 21. Jahrhunderts nicht nur ein Problem des „zu viel“, sondern auch ein Problem des „zu wenig“. Und es geht insgesamt nicht so sehr um eine Krise des Kapitalismus, sondern um eine Verirrung der „schwäbischen Hausfrau“. Die Übertragung ihres löblichen Sparwillens auf die öffentliche Hand ist heutzutage ein Fehler. Das Duo „Demokratie & Kapitalismus“ kann sich aus seinem globalen Fieberzustand lösen, wenn es den richtigen Umgang mit der Staatsschuld als Antwort auf den Sparüberhang lernt. Es hat sogar die Chance, sich auf die Entwicklungsländer auszudehnen, wenn sich die Welt der reichen Länder für deren Importe weit öffnet. Eine solche Handelspolitik dient der eigenen Prosperität, wenn man den richtigen Umgang mit der Staatsschuld pflegt.

Leider musste Ludger Schuknecht nach seinem eigenen Vortrag schon wieder zu dringenden anderen Terminen, so dass er durch die Thesen von von Weizsäcker nicht in seiner schwäbischen Schuldenmatrix gestört wurde. Und wenn er in einer ruhigen Minute dennoch dieses Papier lesen sollte, dann muss er noch das grundsätzliche Problem mit der kognitiven Dissonanz bewältigen. Wir sollten ihm alle dabei helfen. Von daher rufe ich alle Leser dieses Blogs auf, das Papier von Carl-Christian von Weizsäcker über die sozialen Netzwerke zu verbreiten, damit die Vernunft am Ende doch wieder die Oberhand gewinnt. Hier der Link:
Kapitalismus in der Krise? Der negative natürliche Zins und seine Folgen für die Politik.

Und hier die englische Fassung für die internationalen sozialen Netzwerke: Public Debt and Price Stability. German Economic Review.

update  23:35 Uhr: Wer nicht die Chance hatte William White in Leipzig zu hören, der findet hier zwei exzellente Vorträge sowie ein Interview mit sehr ähnlichen zentralen Aussagen:


Zum Abschluss wie gewohnt noch ein paar Lese- und Hörempfehlungen:

Und hier noch der Link zu meiner Linkliste zu Helicopter-Money

Über Michael Stöcker

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
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Eine Antwort zu Kapitalismus in der Krise?

  1. felsberger2012 schreibt:

    Der richtige Schluss, für eine steigende Staatsverschuldung zu plädieren, scheint in dem Papier von C.C.v. Weizsäcker eher einem Zufall geschuldet sein als der Logik, auf die es sich beruft. Erstens: Das jährliche Wachstum des Kapitalstocks ist keine Funktion der jährlichen Ersparnis sondern: Umgekehrt!. Zweitens: Das Wachstum des Kapitalstocks flacht sich im Reifen einer Volkswirtschaft der Sättigung der Menschen wegen ab: Niemand benötigt ein drittes Auto oder ein viertes Haus. Und schließlich Drittens: Ein dauerhaftes Auseinanderfallen zwischen dem jährlichen Wachstum des Kapitalstocks und der jährlichen Ersparnis kann es gar nicht geben. Diese Diskrepanz wird zu jeder Zeit durch Unternehmenskonkurse eliminiert. Man sollte daher nicht von einer „Saving glut“ sprechen, sondern schlichtweg: von einer Stagnation des Wachstums des Kapitalstocks, die Geld-Sparen nur in engen Grenzen mehr erlaubt. Als Ausweichmöglichkeit dient dann der Boden, die Edelmetalle und eben: die Staatschuld…..

    PS: Eine Krise des Kapitalismus läßt sich daraus in keiner Weise ableiten.

    Liebe Grüße
    A.F..

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